Im Rahmen des Moduls „Integration, Migration, Interkulturalität, Asyl und Flucht“ (innerhalb des Bachelor-Studiengangs „Religions- und Gemeindepädagogik / Soziale Arbeit“) erlebten ca. 40 Studierende des vierten Semesters andeutungsweise, wie es sich anfühlt, auf der Flucht zu sein.
Der Beginn des Planspiels war dabei asynchron und individuell, da jede*r Studierende bei sich zuhause ein Einführungsvideo der Modulverantwortlichen Lilija Wiebe anschaute, und anschließend einen Umschlag öffnete, in dem eine willkürlich zugeteilte "Identitätskarte" steckte.
Diese Identitäten waren nach Farben sortiert und stammten aus vier Ländern: der Türkei, Afghanistan, Zentralafrikanische Republik und dem Irak. Zudem gaben diese Identitätskarten Auskunft über die einzelne Person und Aufgaben, die während des Spiels erledigt werden sollten. So gab es z. B. Familien, die sich auf der Reise verloren hatten und ihre Familienmitglieder in der Unterkunft wiederfinden mussten.
Die Studierenden machten sich dann (je nach Aufgabe) zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf den Weg nach Fuldabrück, zur Unterkunft im Gebäude der Flüchtlingshilfe des Landkreises Kassel, der Kooperationspartner dieses Planspiels war.
Beim Erreichen in der Unterkunft war jede*r Studierende sofort in ihrer/seiner "Rolle" als Geflüchtete*r gemäß der zugelosten Identität.
Bevor sie überhaupt das Gebäude betreten durften, ging es für die „Geflüchteten“ zuerst zur offiziellen COVID-19-Teststation. Erst danach wurden sie in die ersten Räume der Aufnahmeeinrichtung geschickt, in denen dann entweder eine medizinische Untersuchung, ein Interview durch eine*n Mitarbeiter*in des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) oder eine erkennungsdienstliche Aufnahme auf sie warteten.
Direkt beim Ankommen vor Ort und beim Durchlaufen der einzelnen Stationen wurden die Studierenden von den Mitarbeitenden in verschiedenen Sprachen angesprochen. Sie selbst durften gemäß einzelner Rollen auch nur in fremden Sprachen sprechen, sodass ein babylonisches Sprachwirrwarr entstand und die Verständigung zum Teil nur durch Gesten und "mit Händen und Füßen" klappte.
Doch nicht nur der Tag, auch die Nacht wurde vor Ort verbracht. Viel Schlaf gab es nicht, da schon um 4:30 Uhr eine der Studierenden – ihrer Rolle gemäß – lautstark versuchte, seine Weiterreise nach Finland zu erzwingen.
Am nächsten Morgen wurde, wie auch schon am Vorabend, ausführlich reflektiert, um das Erlebte in Bezug zu Realität zu setzen und Handlungskompetenzen für die spätere berufliche Tätigkeit der Studierenden zu entwickeln.
Zum Hintergrund
Ein "organisiertes Chaos" wie fehlende Informationen, langes Warten und viel Unsicherheit waren ein bewusster Teil des Planspiels. Auch die bevorzugte Behandlung einer Nation gegenüber anderen Nationen gehörte dazu. So erfuhren die Studierenden am eigenen Leib, wie Stress, Ärger, Frust und ein Gefühl des Ausgeliefert-Seins entstehen – und wie sich das anfühlt.
Den Mitarbeitenden des Landkreises Kassel und der CVJM-Hochschule war dabei sehr bewusst, dass man in einem solchen Planspiel keine reale Flucht und kein reales Ankommen imitieren kann.
Das Planspiel der CVJM-Hochschule und des Landkreises Kassel hatte vielmehr den Zweck, die Studierenden auf künftige Tätigkeiten in dem Bereich Soziale Arbeit und Gemeindepädagogik vorzubereiten, indem sie in die Rolle von Geflüchteten schlüpfen. So sollten sie den Ankommens-Prozess, soweit es möglich ist, aus deren Sicht wahrnehmen. Die Erfahrungen aus dem Planspiel werden dabei helfen, entsprechende Konzepte für die spätere Arbeit zu entwickeln.
Nach Beendigung des Planspiels wurde persönlich und in der Gruppe reflektiert. Es wurde besprochen, was die Situation mit dem Einzelnen und der Gruppe gemacht hat und wie diese Erfahrungen in der späteren Tätigkeit als Sozialarbeiter*in oder Gemeindepädagog*in angewendet werden können.
Ein besonderer Inhalt der Reflexion war das Gespräch mit einem wirklich Geflüchteten aus dem Syrien. Die Geschichte seiner Flucht und seines Ankommens in Deutschland hatte auch dazu beigetragen, das Planspiel in Bezug zur Realität der Situation der Geflüchteten in Deutschland zu setzen.
Stimmen der Teilnehmenden
Reaktionen der Teilnehmenden waren z. B.: "Man hat in der Nacht jedes kleine Geräusch gehört. Wie wird es wohl sein, wenn die Halle voll ist und es sehr laut ist. Ich kann mir vorstellen, dass man da schnell an seine Grenzen kommt." oder auch "Ich habe mich ganz alleine gefühlt. Wie mag das wohl Geflüchteten gehen, die niemanden kennen und wirklich ganz allein sind?"
Dadurch, dass die Situation für einige Studierende emotional und körperlich sehr belastend war, kam eine Studierende am Ende für sich zu dem Schluss: "Jetzt verstehe ich die Geflüchteten etwas besser."
Für ihre spätere Arbeit mit Geflüchteten nimmt eine Studierende mit: "Ich möchte jeden Menschen mit seiner Geschichte sehen und mir Zeit nehmen ihn und sie als Individuen kennenzulernen ."
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Die 2009 gegründete, staatlich und kirchlich anerkannte CVJM-Hochschule – YMCA University of Applied Sciences – führt in Präsenz- sowie in berufsbegleitenden und onlinebasierten Teilzeit-Studiengängen in den Bereichen Theologie und Soziale Arbeit zum Bachelor of Arts und Master of Arts. Außerdem bildet die CVJM-Hochschule Erzieher*innen und Jugendreferent*innen aus. Verschiedene Weiterbildungen ergänzen das Angebot. Die CVJM-Hochschule betreibt zusätzlich vier Forschungsinstitute (Institut für Erlebnispädagogik, Institut für Missionarische Jugendarbeit, Institut empirica für Jugendkultur und Religion sowie das Evangelische Bank Institut für Ethisches Management). Zum Wintersemester 2023/2024 sind 474 Studierende immatrikuliert. Rektor der CVJM-Hochschule ist Prof. Dr. Tobias Faix. Die Studierenden leben in einer Lern- und Lebensgemeinschaft auf dem bzw. in der Nähe des Campus.
Träger der CVJM-Hochschule ist der deutschlandweite Dachverband der Christlichen Vereine Junger Menschen (CVJM/YMCA), der CVJM Deutschland. Der CVJM/YMCA ist weltweit die größte überkonfessionelle christliche Jugendorganisation, die insgesamt 40 Millionen Menschen direkt erreicht, und weitere 25 Millionen Menschen indirekt. In Deutschland hat der CVJM 310.000 Mitglieder und regelmäßige Teilnehmende. Darüber hinaus erreicht er in seinen Programmen, Aktionen und Freizeiten jedes Jahr fast eine Million junge Menschen. Schwerpunkt des CVJM in Deutschland ist die örtliche Jugendarbeit in 1.400 Vereinen, Jugendwerken und Jugenddörfern.
Ehrenamtlicher Vorsitzender des CVJM Deutschland ist Präses Steffen Waldminghaus. Hauptamtlicher Leiter ist Generalsekretär Pfarrer Hansjörg Kopp.