Fachvortrag: Digitales Engagement im ländlichen Raum

Forschungskolloqium von Dr. Matthias Heuberger von der evangelischen Hochschule Darmstadt über das Thema "Digitales Engagement im ländlichen Raum".

Ehrenamtliches Engagement ist unabdingbar für eine demokratische und solidarisch organisierte Zivilgesellschaft. Um Freiwilligenarbeit wahrzunehmen und wissenschaftlich auszuwerten gibt es seit 1999 alle fünf Jahren eine repräsentative Umfrage, um möglichst differenzierte Aussagen über die Entwicklung des freiwilligen Engagements in Deutschland zu ermöglichen. Der letzte veröffentlichte Bericht (2021) beschäftigt sich mit Erkenntnissen, die während einer Befragung zwischen März und November 2019 gewonnen werden konnten. Aktuell läuft wieder eine Umfrage. Doch weil es viele verschiedene Möglichkeiten des ehrenamtlichen Engagements gibt’s und viele verschiedene Betätigungsfelder, sind auch viele verschiedene Forschungsfelder und -fragen hilfreich, um zu einem großen Ganzen zu kommen.

Forschungskolloqium im Rahmen der Kollegiumsklausur

Einer der Forschenden rund um das freiwillige Engagement ist Dr. Matthias Heuberger von der Evangelischen Hochschule Darmstadt. Im Rahmen der Kollegiumsklausur, bei der regelmäßig Wissenschaftler*innen anderer Hochschulen gastieren und von ihren Forschungen berichten, hielt der Humanbiologe und Gesundheitswissenschaftler eine Vortrag über „Digitales Engagement im ländlichen Raum“. Die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt DIGEL, das von 2020 bis 2023 lief, wurden im Darmstädter Institut für Zukunftsfragen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft erhoben. Dabei waren vor allem drei Forschungsfragen leitend, wie Heuberger berichtete: 1. Welche Formen digitalen Engagements gibt es bereits? 2. Wie lassen sich diese klassifizieren? Und 3. Warum gelingen digitale Formen des Engagements (im ländlichen Raum)? Das Forschungsteam fokussierte sich dabei primär auf die Schnittmenge aus den Forschungsbereichen Engagement, Digitalität und ländlicher Raum.

Zentrale Befunde in der Forschung

In der 1. Phase machten die Wissenschaftler*innen eine Bestandsaufnahme zur Digitalisierung und dem (digitalen) Engagement im ländlichen Raum und suchten nach Expert*innen und Beispielen aus der Praxis. Diese wurden in einem zweiten Schritt porträtiert bzw. interviewt. In der dritten Phase des Forschungsprojekts wurden die Antworten zusammengefasst und Handlungsempfehlungen daraus abgeleitet.

Zentrale Befunde dabei waren:

  1. Digitales Engagement ist wenig erforscht und durch sprachliche bzw. begriffliche Unschärfen gekennzeichnet. Es gibt analoge Angebote, wie zum Beispiel die Arbeit in einem Verein, bei dem bestimmte Prozesse oder Hilfsmittel digitalisiert werden. Auf der anderen Seite gibt es digitales Engagement, das sich analoger Hilfsmittel bedient, wie zum Beispiel das Betreiben einer Online-Plattform oder die Entwicklung einer App für ein ehrenamtliches Engagement als ehrenamtliches Engagement. Und es gibt hybride Angebote, zum Beispiel im Rahmen der Weiterqualifizierung oder Netzwerkbildung. „Es gibt nicht DAS digitale Engagement“, fasst Dr. Matthias Heuberger zusammen.
  2. Als zweites fanden die Forschenden um Dr. Heuberger durch die Interviews heraus, dass digitales Engagement sowohl zahlreiche Hoffnungen bedient, gleichzeitig aber auch zahlreiche Ängste auslöst. Die einen bauen auf Weiterentwicklung und Qualifizierung sowie auf eine Aufwertung des ländlichen Raums, die anderen haben die Sorge, abgehängt und ausgeschlossen zu werden. Beides beeinflusst das digitale Engagement.
  3. Als dritter Befund konstatierten die Wissenschaftler*innen, dass digitales Engagement im ländlichen Raum auf eine besondere Sozial- und Infrastruktur trifft. Der eher städtische Anspruch, Menschen in der Anonymität der Großstadt, näher zusammenzubringen, fruchtet in ländlichen Regionen nicht, weil die Menschen sich dort (eher) kennen. Um die Menschen zusammenzubringen, braucht es in diesen Regionen keine digitale Vernetzungsplattform.
  4. Aber: Die Digitalität führt zu neuen Formen des Engagements im ländlichen Raum, denn Menschen können sich so auch außerhalb dieses Raums engagieren (Export-Engagement) und an demokratischen und gesellschaftlichen Prozessen und Projekten partizipieren. Ebenso können sich Leute, die ihre ländliche Heimat verlassen haben, durch digitales Engagement an ihrer Herkunft und zu den Menschen vor Ort festhalten (Import-Engagement). Und auch hier gibt es wieder die Digitalisierung von Engagement (vor allem im Bereich des Export-Engagements) sowie die Digitalisierung als Engagementfelds (vor allem im Bereich des Import-Engagements).  

Beispiele gelungenen digitalen Engagements

Dr. Matthias Heuberger berichtete im Anschluss auch von acht konkreten Beispielen:

  1. So schlägt der Verein „Laufacher Musikanten“ mit einem digitalen Vatertagsfest die Brücke zwischen Innovation und Tradition. Durch diesen neuen Weg des digitalen Engagements tragen sie zu einer lebendigen Dorfgemeinschaft bei.
  2. Das Bibellabor der von Cansteinschen Bibelanstalt in Berlin überwindet durch den Einsatz einer Gamingplattform räumliche Grenzen und macht dadurch ihr Angebot auch Kindern und Jugendlichen in ländlichen Regionen zugänglich.
  3. Der Freifunk Nordhessen e.V. engagiert sich für digitale Teilhabe, indem W-LAN-Netzwerke aufgebaut und für die Bevölkerung kostenlos verfügbar gemacht werden. Dieses Engagement ist insbesondere für kleinere Kommunen oder Ortsteile mit geringen Einwohnerzahlen wertvoll, wo hohe Erschließungskosten die Anbindung an das Internet erschweren.
  4. In der Landinventur werden Daten über dörfliche Strukturen direkt durch die Menschen vor Ort gesammelt und über eine Webanbindung digital erfasst und automatisch visualisiert. Diese Informationen dienen als Grundlage für die Dorfentwicklung oder kommunale und regionale Raumplanungen.
  5. Das Projekt RegioCrowd nutzt die Möglichkeiten zur digitalen Vernetzung über eine Metaplattform, um Menschen für Wald, Natur und Ökologie zu gewinnen. Sie zeichnet sich durch ein Gesamtkonzept zwischen digitaler Ansprache und regionalem Engagement aus.
  6. DAKI; der Dachverband der Kulturfördervereine stellt einen digitalen Werkzeugkasten für Kulturvereine zur Verfügung, um die Aktivitäten der Engagierten zu unterstützen. Der Werkzeugkasten verbindet die digitale Weiterentwicklung der Vereine mit der so wichtigen Nachwuchs- und Netzwerkarbeit.
  7. Die Melanchthonkirchengemeinde in Griesheim hat – wie so viele andere auch – während der Corona-Pandemie begonnen, ihre Gottesdienste zu streamen. Daraus ist ein engagiertes Technikteam entstanden, das eindrucksvoll zeigt, wie die Digitalisierung die überregionale Partizipation ermöglicht und gleichzeitig neues Engagement fördert.
  8. Hinter bremke.digital steckt eine Dorf-App, die das dörfliche Leben unterstützt und gleichzeitig in vorhandene (über)regionale Strukturen überführt und festigt. Dies ist vor allem auch auf die hohe Partizipation der Nutzer*innen zurückzuführen.

Forschungs- und Handlungsempfehlungen

Diese Beispiele zeigen, dass digitales Engagement besonders dann erfolgreich ist, wenn lokalräumliche Bezüge und gewachsene Netzwerke berücksichtigt werden. Aber es gibt daneben noch viele offenen oder zu erforschenden Fragestellungen, damit (digitales) Engagement auch erfolgreich laufen kann. Primär rechtliche Fragen verunsichern die Akteur*innen und erschweren ehrenamtliches Engagement. Genauso wie Finanzierungs- und Qualifizierungsfragen. Auch eine Kultur der Anerkennung, Wahrnehmung und Wertschätzung – besonders – des digitalen Engagements ist vonnöten. Darüber hinaus bedarf es weiterer Lösungen, was die Infrastruktur für digitales Engagement anbelangt. Viele Engagierte müssen sich eine eigene Infrastruktur aufbauen und verschwenden so wertvolle Ressourcen. Gleichzeitig braucht es aber auch regionale bzw. lokale Infrastrukturen, die der Heterogenität der Konzepte und des Engagements gerecht werden.

Im Anschluss an dieses eindrucksvolle Forschungskolloqium schloss sich eine engagierte Diskussionsrunde an, in der die Kolleg*innen der CVJM-Hochschule mit Dr. Matthias Heuberger von der evangelischen Hochschule Darmstadt in einen intensiven Austausch gingen und Anregungen für ihre eigenen Forschungen oder Lehrinhalte mitnehmen konnten.

 

 

 


Die 2009 gegründete, staatlich und kirchlich anerkannte CVJM-Hochschule – YMCA University of Applied Sciences – führt in Präsenz- sowie in berufsbegleitenden und onlinebasierten Teilzeit-Studiengängen in den Bereichen Theologie und Soziale Arbeit zum Bachelor of Arts und Master of Arts. Außerdem bildet die CVJM-Hochschule Erzieher*innen und Jugendreferent*innen aus. Verschiedene Weiterbildungen ergänzen das Angebot. Die CVJM-Hochschule betreibt zusätzlich vier Forschungsinstitute (Institut für Erlebnispädagogik, Institut für Missionarische Jugendarbeit, Institut empirica für Jugendkultur und Religion sowie das Evangelische Bank Institut für Ethisches Management). Zum Wintersemester 2023/2024 sind 474 Studierende immatrikuliert. Rektor der CVJM-Hochschule ist Prof. Dr. Tobias Faix. Die Studierenden leben in einer Lern- und Lebensgemeinschaft auf dem bzw. in der Nähe des Campus.

Träger der CVJM-Hochschule ist der deutschlandweite Dachverband der Christlichen Vereine Junger Menschen (CVJM/YMCA), der CVJM Deutschland. Der CVJM/YMCA ist weltweit die größte überkonfessionelle christliche Jugendorganisation, die insgesamt 40 Millionen Menschen direkt erreicht, und weitere 25 Millionen Menschen indirekt. In Deutschland hat der CVJM 310.000 Mitglieder und regelmäßige Teilnehmende. Darüber hinaus erreicht er in seinen Programmen, Aktionen und Freizeiten jedes Jahr fast eine Million junge Menschen. Schwerpunkt des CVJM in Deutschland ist die örtliche Jugendarbeit in 1.400 Vereinen, Jugendwerken und Jugenddörfern.

Ehrenamtlicher Vorsitzender des CVJM Deutschland ist Präses Steffen Waldminghaus. Hauptamtlicher Leiter ist Generalsekretär Pfarrer Hansjörg Kopp.

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